Dr. Gerd Scholl
Das macht viel Sinn
Aktualisiert: 15. Jan. 2019
Die Weihnachtsferien habe ich mit dem Buch „Purpose Driven Organizations. Sinn – Selbstorganisation – Agilität“ von Franziska Fink und Michael Moeller verbracht. Was für eine Freude! Ein absolut lesenswertes Buch! Warum?
Ein Augenöffner
Die Autor*innen, die als systemische Organisationsberater*innen tätig sind, behandeln das Thema in einer „systemtheoretisch aufgeklärten und wissenschaftlich fundierten“ (S. 3) Weise sowie auf Basis ihrer „vielfältigen Erfahrungen in und mit Unternehmen und Führungskräften“ (ebd.). Sinn-volles Unternehmenshandeln erhält in dem Buch also eine konzeptionelle Rahmung und wird anhand zahlreicher Beispiele sehr anschaulich gemacht. Das hat mir die Augen geöffnet. Denn vorher war der schillernde Begriff „Purpose“ für mich eher oberflächliches Beratersprech, nicht mehr als eine weitere Management-Sau, die durch’s Consulting-Dorf getrieben wird. Das liegt wohl auch daran, dass es für mich selbstverständlich war, dass eine Organisation „sich als Teil eines größeren Ganzen betrachte[t], zu dem beigetragen wird und für das etwas bewirkt werden soll“ (S. 81) – so eine definitorischen Annäherungen an den Begriff im Buch. Denn schließlich habe ich einen Großteil meines Berufslebens in einer Sinn-getriebenen Organisation verbracht. Nämlich in einem Forschungsinstitut, das Strategien und Handlungsansätze für eine Ökonomie entwickelt, „die ein gutes Leben ermöglicht und die natürlichen Grundlagen erhält“ (www.ioew.de).
Systemtheorie als Folie
Das Buch beginnt damit, dass der Begriff „Sinn“ in seiner doppelten Bedeutung – als Energiegeber (emotionale Dimension) und als ultimatives Ziel (sachliche Dimension) – eingeführt wird. Damit zahlt Sinnorientierung aus systemtheoretischer Sicht ganz offensichtlich auf zwei „entschiedene Entscheidungsprämissen“ einer Organisation ein: die so genannten Entscheidungsprogramme, die den Zweck einer Organisation festlegen (z.B. Strategie), sowie das Personal, das ebenfalls ein Strukturelement darstellt, an dem sich die alltäglichen Entscheidungen einer Organisation ausrichten. Die Systemtheorie sieht darüber hinaus in den Kommunikationswegen, die die hierarchische Struktur einer Organisation beschreiben, eine weitere entschiedene Entscheidungsprämisse. Als unentschiedene Entscheidungsprämisse wird hingegen die Kultur einer Organisation betrachtet. Denn die beeinflusst zwar auch – über Normen, Werte und Glaubenssätze – was und wie in einer Organisation entschieden wird. Über sie wird aber nicht explizit entschieden, sie ergibt sich einfach aus den sozialen Interaktionen im System (Emergenz). Ein weiteres wichtiges Element der Systemtheorie ist das der evolutionären Entwicklung. Im Falle von Organisationen bedeutet das: Entscheidungen werden (zufällig) abgewandelt (Variation), je nach Wirkung beibehalten oder verworfen (Selektion) und schließlich in einem neuen Systemzustand stabilisiert (Retention).
Moderner Fünfkampf
Auf dieser Folie widmet sich das Autorenteam der Frage, wie Organisationen auf einen angestrebten Purpose ausgerichtet werden können. Sie schlagen fünf Disziplinen vor, die mit den genannten Entscheidungsprämissen korrespondieren: Mit der Disziplin „Dominanter Purpose“ sind die Entscheidungsprogramme angesprochen, mit der Disziplin „Kodifizierte Selbstorganisation“ die Kommunikationswege, mit der Disziplin „Ganzheitliche Partnerschaft“ das Personal, mit der Disziplin „Superflexible Vertrauenskultur“ die Organisationskultur und mit der Disziplin „Co-Evolution im Ökosystem“ das Verhältnis der Organisation zu ihrer Umwelt. In diesem Zusammenhang hat das Konzept des evolutionären Dreischritts aus Variation, Selektion und Retention mir dabei geholfen zu verstehen, warum Purpose Statements eine gewisse Unschärfe haben müssen. Denn nur so können sie „Trigger für Variationen (z.B. neue Geschäfts- oder Produktideen)“ (S. 81) sein, die „die evolutionäre Entwicklung stimulieren“ (ebd.).
Aus den Disziplinen machen Fink und Möller eine Art modernen Fünfkampf, der Organisationen zu mehr Purpose Drive bewegen kann und der mehr ist als die Anwendung einzelner Techniken und Methoden. Denn für Sinn-getriebene Organisationen sei es notwendig, nicht nur einzelne Organisationspraktiken zu verändern. Vielmehr müssten sie eine „grundlegend andere Art zu operieren“ herausbilden (S. 78).
Sinn-Pioniere
Das wird sehr plastisch anhand der zahlreichen Unternehmensbeispiele, die in dem Buch zur Illustration der fünf Disziplinen erwähnt sind. Sie reichen von dm-drogerie markt oder BOSCH Power Tools über die Vermittlungsplattform Traum-Ferienwohnungen oder den Betreiber von Hotels und Ferienwohnungen Upstalsboom bis hin zu kleineren Betrieben der alternativen Wirtschaft wie PREMIUM oder Soulbottles. Die Sinn-Pioniere zeigen, dass eine konsequente Ausrichtung an einem über die reine Gewinnmaximierung hinausgehenden Unternehmenszweck wirtschaftlich tragfähig und organisational machbar ist. Die Wege zum Sinn sind dabei vielfältig und folgen nie dem Schema F.
Flexibler Werkzeugkasten
Daher versteht es sich von selbst, dass die zahlreichen „Tools und Methoden“, die das Buch für das (Aus-) Üben der fünf Disziplinen zur Verfügung stellt, sehr flexibel und fallspezifisch einzusetzen sind. Ihre Darstellung bietet aber gerade für Beratende in diesem Feld etliche praktische Hinweise für wirksame Interventionen.
Ein inspirierendes Buch und Must-Read
Die ersten Reaktionen auf das Buch, etwa bei Amazon oder auch auf der Webseite zum Buch (https://www.purpose-driven.world/das-buch/), sind äußerst positiv. Ich kann mich dem nur anschließen. Seine klare Struktur und der fein gesponnene rote Faden, die vielen anschaulichen Beispiele und der große Werkzeugkasten machen es zu einem ausgesprochen wertvollen Lesestoff – zumal in Zeiten, in denen das Bedürfnis nach sinnhaften und zukunftsfähigen Formen des Wirtschaftens in weiten Teilen der Gesellschaft immer größer wird.
Fink, Franziska, und Michael Moeller (2018): Purpose Driven Organizations. Sinn - Selbstorganisation - Agilität. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag. 338 Seiten, € 39,95