Dr. Gerd Scholl
Neun Schlüssel zur Resilienz
Im vergangenen Jahr hat die International Standardization Organisation (ISO) eine Norm zur organisationalen Resilienz veröffentlicht (ISO 22316:2017). Sie bietet Unternehmen und anderen Organisationen Orientierung bei der Entwicklung von Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. In der Norm werden neun Schlüssel zur Förderung von Resilienz benannt (Heller 2018):
1. Geteilte Vision und klares Ziel: Hier geht es darum, den übergeordneten Zweck der Organisation klar zu benennen und mit allen Mitgliedern zu teilen. Alle strategischen und operativen Tätigkeiten sind hieran auszurichten. Dies ist kein einmaliger Vorgang, denn in einem dynamischen Umfeld gehören Vision und Ziele regelmäßig auf den Prüfstand.
2. Umfeld verstehen und beeinflussen: Der Kontext, in dem eine Organisation sich bewegt und durch den sie erst zu einer sinnvollen Zweckbestimmung gelangt, ist einem ständigen Wandel unterworfen. Daher ist es wichtig, das Umfeld genau zu beobachten und zu verstehen. Wie verändern sich Märkte und Wettbewerbsbedingungen? Wie beeinflusst der politisch-rechtliche Rahmen das Geschäft? Welche Interessengruppen können strategische Partner sein?
3. Effektive und ermutigende Führung: Resilienz fördernde Führung wirkt, indem sie auf Vertrauen setzt und Freiräume für eigenverantwortliches Arbeiten schafft. Sie agiert transparent und lernt aus Erfahrung – aus Erfolgen ebenso wie aus Misserfolgen und Fehlern. Gegenüber den Mitarbeitern versteht sie sich als Coach, das heißt sie unterstützt die Entwicklung von individueller Problemlösekompetenz.
4. Resilienz fördernde Kultur: Die Kultur einer Organisation kann als Muster von Grundannahmen und Grundregeln verstanden werden, mit der eine Gruppe von Individuen Probleme zu lösen versucht und Anpassungsprozesse durchläuft (Schein 2010). Um zu einer Organisationskultur zu kommen, die mehr Resilienz schafft, sind die vorhandenen Grundannahmen und -regeln zunächst zu ermitteln. Welche davon sollten im Sinne der Resilienz gestärkt werden, welche eher nicht? Wie können Werte wie Kreativität und Innovation oder Offenheit und Mut gefördert werden?
5. Information und Wissen teilen: Mit diesem Schlüssel soll das Lernen in der Organisation gefördert werden. Denn voneinander und aus Erfahrung zu lernen ist eine zentrale Stellschraube für die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit einer Organisation. Dafür müssen Informationen zugänglich, verständlich und sachgemäß sein, und es muss – beispielsweise in Teams – Räume für regelmäßige Reflexion geben.
6. Verfügbarkeit von Ressourcen: Hinter diesem Schlüssel steckt die Frage, welche personellen, technischen, finanziellen und sonstigen Ressourcen eine Organisation braucht, um im Krisenfalle handlungsfähig zu bleiben. Mit Blick auf die Rekrutierung und Qualifizierung von Mitarbeitern geht es hier beispielweise um Diversität (in Fähigkeiten, Kenntnissen, Verhaltensweisen).
7. Koordinierte Unternehmensbereiche: Wichtige Fragen sind hier, welche Unternehmensbereiche für die Sicherstellung der Kernprozesse besonders wichtig sind, wie in diesen Bereichen Flexibilität aufgebaut werden kann und wie Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen diesen Bereichen gefördert werden können.
8. Kontinuierliche Verbesserung fördern: Dieser Schlüssel hat eine operative und kulturelle Komponente. Zum einen geht es darum, Leistungen zu monitoren und zu evaluieren und bei Bedarf Verbesserungsmaßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Zum anderen gilt es, eine Kultur des offenen Dialogs und des fortwährenden Lernens zu entwickeln.
9. Veränderungen antizipieren und managen: Resiliente Organisationen sind in der Lage, auch unter widrigen Bedingungen ihre Leistungen zu erbringen. Daher ist es wichtig, schwierige Umstände möglichst früh zu erkennen und schwache Signale für zukünftigen Anpassungsbedarf aufzuspüren. Ist der Krisenfall eingetreten, braucht es klare Abläufe und Prozesse für die Krisenbewältigung.
Mit den neun Schlüsseln ist ein umfangreiches Programm skizziert, mit dem Resilienz in und von Organisationen gefördert werden kann. Vieles davon ist nicht neu beziehungsweise für jedwede Form ‚guter‘ Organisationsentwicklung relevant – wie etwa die Betonung kontinuierlicher Verbesserungsprozesse oder das Formulieren klarer und geteilter Ziele. Trotzdem setzt eine resiliente Organisationsentwicklung besondere Akzente, zum Beispiel auf die vorausschauende Analyse der Veränderungen im Unternehmensumfeld, den Ausbau agiler Führungspraktiken oder die Schaffung einer fehlerfreundlichen und chancenorientierten Organisationskultur.
Literatur
Heller, Jutta (2018): 30 Minuten Resilienz für Unternehmen. 1. Auflage. Offenbach: GABAL.
ISO (2017): Security and resilience -- Organizational resilience -- Principles and attributes (ISO 22316:2017.
Schein, Edgar H. (2003): Organisationskultur. »The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide«, EHP: Bergisch Gladbach.